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Dimensions Festival: Ein Newcomer erhebt Anspruch auf den Thron

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Dimensions Festival: Ein Newcomer erhebt Anspruch auf den Thron

Quelle: www.jodyhartleyphotography.co.uk

Bild: Jody Hartley

Dimensions Festival, 6. – 9. September 2012, Pula, Kroatien

Alljährlich klappert eine wachsende Festivalgemeinschaft die adriatische Küste ab auf der Suche nach dem perfekten Festival. Und wer hätte gedacht, dass die Auszeichnung dieses Jahr an einen Newcomer gehen würde, der zugleich die Festivalsaison abschliesst? nahaufnahmen.ch am Dimensions Croatia, umwerfendes Festivalkino.

Wie es scheint, lohnt es sich für die Dörfer an der noch ziemlich unberührten kroatischen Meeresküste nur bedingt, während den besten Sommermonaten in eine Festivalhochburg zu mutieren. Der Anblick und das Verhalten einiger Festivalgestalten scheint nicht nur den teils ahnungslosen Touristen suspekt, sondern auch den Dorfbewohnern selber. Petrcane, Gastgeber unter anderem des bezaubernden Soundwave-Festivals letztes Jahr, konnte oder wollte die anwachsenden Besucherströme nicht mehr bewältigen, und so zog ein Teil dieser Karavane nach Tisno weiter, wo ein entspanntes, fröhliches Soundwave-festival leider nie und nimmer an die Vorjahresausgabe heranzukommen vermochte. Der andere Teil dieser Karavane hatte von einer Jungfer gehört, die am Outlook-Festival 2011 gezeugt wurde, und sich auf die Fahnen geschrieben hatte, das unglaublichste Festival westlich von Jerusalem abzuhalten: Das Dimensions Festival. „Underground music in an abandoned fort.“

Die Rückeroberung einer vergessenen Halbinsel.

Die Spur beginnt auch diesmal in Petrcane. Wir datieren das Jahr 2008, als das erste Outlook-Festival stattfindet. Über Novalja landet die Crew 2010 in Pula, wo sie auf ein verlassenes Fort aus dem 18. Jahrhundert stossen. Tonnen von Erde mussten erst wegtransportiert werden, bevor dem Tanzparkett wieder Leben eingehaucht werden konnte. Mit jedem Jahr wurden weitere Räume erschlossen und mit den kompromisslos besten Soundsystems verschmolzen, sodass Pula mit 20′000 Feierwütigen mittlerweile das grösste Bassmusik-Festival Europas beherbergt und in England zum besten internationalen Festival gewählt wurde. Ebendiese Organisatoren haben sich dann letztes Jahr gedacht, dass sie die ganze Infrastruktur auch gleich für ein zweites Festival nutzen könnten, und haben kurzerhand die Crème de la Crème der zeitgenössischen elektronischen Musik nach Pula eingeladen: Little Dragon, Nicolas Jaar, Four Tet, Moodyman, Carl Craig, Addison Groove, Scuba, Mala und über 200 weitere Djs und Acts für 4 Tage, 7 Bühnen und 16 Bootpartys.

Die wichtigste Regel des neuen Festivals wurde gleich am ersten Abend gelehrt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Zeitmanagement. Merkwürdigerweise wurden die Programmhefte separat verkauft, und wer nicht bzw. zu spät zugriff, bemerkte unter umständen nicht, dass der Donnerstag-Abend zu einem Marathon mit hohen Opportunitätskosten werden würde: Alle hochgejubelten Live-Acts – sprich Nicolas Jaar, Little Dragon und Four Tet – hintereinander auf  derselben Hauptbühne, welche für höchstens 2000 Menschen Platz gebot. Dies führte zu einer kleinen Panik. Die zweifelhaften Erfahrung des gepflegten britischen Schlangenstehens, während auf den anderen Bühnen Koreless, Mala oder Pearson Sound wüten würden? Inmitten dieser komplexen Entscheidungen konnte man leicht übersehen, wie liebevoll das Gelände eingerichtet worden war. Handgemachte Sitzskulpturen unter bemalt-beleuchteten Bäumen, atemberaubende Visuals, verzierte Fassaden. Schon beim Hinlaufen entlang einer endlosen Lichterkette begann man, in eine andere Welt abzutauchen, ins Fort Punta Christa, auf einem kleinen Landzipfel am Meer.

Wer sich also durchgerungen hatte, den Live-Stakkato auf der Hauptbühne zu empfangen – die Konzerte dauerten gemäss Programm jeweils nur 1 Stunde inklusive Umbau – wurde Zeuge, wie die Festival-Veranstalter sich für das Soundsystem auf der Hauptbühne zu sehr am Outlook, welches durch die beinahe gänzliche Abwesenheit von Live-Musik glänzte, orientiert hatten, denn die Qualität war miserabel und für Konzerte völlig ungeeignet. Es klang so komprimiert und dumpf, dass man nicht recht wusste, ob das Murmeln des Vordermannes oder der Beat der Nebenbühne mehr störte. Darunter hatten vor allem die mit grosser Vorfreude erwarteten Konzerte von Little Dragon und Nicolas Jaar zu leiden, deren spärische Klänge höchstens die vordersten Reihen zu erhören vermochten. Dementsprechend eng war es, doch just als die Mehrheit aufgegeben hatte und weitere Bühnen aufsuchte, legte (ein gut eingedehnter) Four Tet ein Set der gewagteren Sorte hin, welches sich erst mit dem letzten Lied – seinem Hit Love Cry – auflöste: Diesem entnahm er die einzelnen Spuren und fügte sie den ersten Liedern seines Sets hinzu, sodass die Lieder zum Teil merkwürdig vertraut und dennoch vollkommen entfremdet vorkamen, und erst als er mit Love Cry sein Set beendete, löste sich alles auf – und die paar wenigen, welche Four Tet verstanden hatten, wurden mit mehr als nur einem Strahlen in den Augen in die Nacht entlassen.

Festival der Sinne

Eine Besonderheit des Festivals sind die in Kroatien mittlerweile legendären Bootspartys, welche für die Hartgesottenen schon um 2 Uhr Mittags mit einem grossen Stock Alkohol ablegen, oder später als Sonnenuntergangsfahrten auf dem offenen Meer gondeln, während  Djs mit ihren persönlichen Lieblingsstracks weiter zur Intimität inmitten einer traumhaften Kulisse beitragen. Neben der Schwärmerei für das Festival allgemein erzählte BBC Radio 1 Star-Dj Benji B noch Wochen später von der tobenden Menge, die sich weigerte, nach der Ankunft an Land das Boot zu verlassen und einfach weitertanzte.

Wer es tagsüber ein wenig gemächlicher angehen wollte, konnte an der festival-eigenen Bucht im Meer baden, während auf der Beachstage zumeist Reggae lief, und was halt dabei so rauskommt, wenn Reggae mit elektronischen Beats gemischt wird. Ein idealer Ort, um die Restwerte aus dem Blut zu schwimmen, auf Begegnungen des Vorabends zu treffen, einen feinen Mojito zu schlürfen und den Kreislauf in Schwung zu halten. Denn sobald es eindunkelte und die Lichter angingen, wurde es Zeit, das Gelände und die noch nicht entdeckten 5 Bühnen aufzusuchen: Als erste The Moat, eine Art langer Schlauch mit hohen Wänden, gegen oben offen. Alle 20 Meter waren mehrere Meter hohe Boxentürme aufgestellt, die zur Bühne hin lauter und wilder wurden, wodurch ein jeder seinen angestammten Platz finden konnte und sich das Publikum gut verteilte. Über die Bühne und an die Wände wurden 3-dimensionale Visuals projiziert, was zusammen mit der ganzkörperdurchdringenden Musik auf dem unebenen Boden eine surreale Erfahrung kreierte, aber nicht zum allzulangen verweilen anregte.

Neben der Hauptbühne war ein grosser Innenhof herausgeputzt worden, der wiederum eine völlig andere, eigene Athmosphäre schuf, und wiederum hatten es die Organisatoren geschafft, das Soundsystem perfekt auf den Raum abzustimmen, und mit wenigen geschickten Projektionen den Raum zum Leuchten gebracht. Von hier aus konnte man ins Schmuckstück  des Festivals gelangen, Noahs Ballroom, ein kleines Rondell von rund 20 Metern Durchmesser, das zum Himmel hin offen war und farbig beleuchtete Bäume zum Vorschein brachte. Zusammen mit den treibenden Klängen der Djs  ein einmaliges Erlebnis. Spätestens beim ausbleibenden Gedränge auf dieser Bühne konnte man Verständnis für die konsequent durchgesetzte Politik der regulierten Teilnehmerzahl pro Tanzfläche aufbringen, da nicht nur auf dieser kleinen Bühne die Menge wohl heillos überrannt worden wäre. Die beinahe stündlich stattfindenden Dj-Wechsel und die angeheiterte Athmosphäre trugen ihren Teil zu einer hohen Fluktuation bei, wodurch immer und überall genug Platz zum atmen war.

Nur bei der Outside Bühne, neben der Beachbühne als einzige nicht durch die Räumlichkeiten des Forts begrenzt, und trotzdem eingehagt, schien die Begrenzung zumindest fragwürdig, da dort mitunter die besten Sets des Festivals gespielt wurden. Doch der Hag entlang der Bühne am  Hauptweg entwickelte sich aufgrund des hohen Laufverkehrs über das Festival hinweg unverhofft zum lustigsten Treffpunkt für das spätabendliche People-watching. Hier wurde der Funken gezündet, der einen Schimmer Euphorie über die letzten warmen Nächte des Jahres legte und zur ganz speziellen Stimmung an diesem Festival beitrug.

Ging man den Weg noch zu Ende, trat man durch ein hohes Tor ein in die von den Mungo’s Hi-Fi kuratierte Reggae-Bühne, wiederum eine eigene Welt mit besten Soundsystems, die mittels des Basses den Dubstep ins Blut pumpte, und sich musikalisch von sonst eher technoiden Klängen unterschied. Leider glich sich auch diese Bühne mit zunehmender Uhrzeit den anderen Bühnen an, sodass es zeitweise bei einem Durchgang durch das Gelände ein bisschen abwechslungsarm klang. Mit musikalisch klarer differenzierteren Bühnen könnten sie noch den letzten Punkt auf den Weg hin zum perfekten Festival holen.

Dimensions – Outlook 3:0

Auf all diesen Bühnen spielten so viele tolle Dj’s so viele innovative Sets, dass eine Aufzählung allzu subjektiv und sinnlos wäre – es hatte für jeden genug dabei und genug zu entdecken. Und es stimmte bei der Premiere beinahe alles: Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite – im Gegensatz zum Outlook, welches die Teilnehmer mit Regen, aufgewühlten Boden und zerstörtem Schuhwerk überrascht hatte . Mit rund 7′000 täglichen Besuchern herrschte ein ausgezeichnetes Platz-/Raum-Verhältnis vor. Das Outlook, mit rund 3 mal so vielen Teilnehmern dieses Jahr ausverkauft, stösst kapazitätenmässig an seine Grenzen. Überhaupt war das Publikum äusserst angenehm: die Mehrheit war dem Grossteil der Djs entsprechend von der Insel, doch es mischten sich auch auffällig viele Einheimische und Kontinentaleuropäer unter das Publikum – einmal mehr wähnte man sich in seiner eigenen, heterogenen Welt. Zwar war diese Welt ob all der Eindrücke, die es zu verarbeiten gab, nicht vollends überschwänglich-euphorisch, doch dafür schien sich auch der Drogenkosum in angenehmen Grenzen zu halten – auch hier im Gegensatz zum Outlook, welches die älteren, ausser Kontrolle geratenen Brüder der Dimensions-Teilnehmer zu beherbergen scheint. Es wird sich also lohnen, früh ein Ticket für das Festival nächstes Jahr zu ergattern, da alle diesjährigen Teilnehmer mit ihren Freunden bestimmt wiederkehren werden, und dank der guten Resonanz – nicht nur Addison Groove und Motor City Drum Ensemble nannten es die beste Festivalerfahrung des Jahres – und bei einem nur annähernd so grandiosen Lineup die Besucher in Scharen anströmen werden – da bleibt zu hoffen, dass der Zenit nicht schon beim ersten Festival überschritten wurde, und zu wünschen, dass es etwas mehr Konzerte auf entsprechend ausgerüsteten Bühnen geben wird.

Der einziger Wermutstropfen war der Tod eines Teilnehmers in den (eigentlich nur polytoxisch gefährlichen) Fluten der Aria in den frühen Morgenstunden des Sonntagmorgens, worauf aus Respekt (und eventuell auch Angst) der letzte, ausklingende Festivaltag schon um 10 Uhr abends statt morgens sein Ende fand.


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